Zwei Millionen Land Rover Defender
4x4Schweiz-Report: Der zweimillionste Defender läutet das Ende der Geländewagenbaureihe ein

 

Das Ende ist zwar schon absehbar. Aber noch ist der legendäre Land Rover Defender lebendiger denn je. Gerade ist in Solihull das Exemplar mit der Nummer 2’000’000 vom Band gelaufen. Und wir haben mitgeholfen.

Solihull/Grossbritannien. Halt, Stopp, Moment, so einfach geht das nicht! Hier geht es nur mit Schutzkleidung weiter: Ein Plüsch-Kondom für Uhr und Gürtelschnalle, der Ehering muss ins Schliessfach und ohne Jacke oder Handschuhe ist der Spass vorbei, bevor er überhaupt erst begonnen hat. Wir sind schliesslich keine normalen Werksbesucher. Sondern zumindest für ein paar Minuten gehören wir heute zu den knapp 500 Land-Rover-Mitarbeitern, die im Stammwerk in der Lod Lane in Solihull den Defender zusammenschrauben. Denn kurz bevor diese Legende nach bald 70 Jahren tatsächlich zu Ende geht, bieten die Briten ein paar ausgewählten Gästen die Gelegenheit zur aktiven Überlebenshilfe für den Klassiker.

Der Defender mit der Fahrgestellnummer SALLDWBP7FA473395 ist exakt das zweimillionste Exemplar

Diese Aktion kommt nicht von ungefähr. Der Do-it-Yourself-Defender, der da vom Roboterband gerade in Zeitlupe auf uns zu geschoben wird, ist vielmehr ein ganz besonderes Auto: Der silberne Station Wagon mit der Fahrgestellnummer SALLDWBP7FA473395 ist exakt das zweimillionste Exemplar, das die Briten seit der Premiere am 30. April 1948 auf der Motorshow in Amsterdam auf die Strasse gebracht haben. Und natürlich haben sie sich für diesen Wagen etwas Besonderes ausgedacht. Während überall sonst schon Aufkleber mit den Bestimmungsländern an den Scheiben pappen und man Defender für Deutschland (nach England mittlerweile der grösste Markt), der Schweiz, für Belgien und Frankreich oder auch für Afrika sieht, bleibt der hier in Solihull und wird demnächst für einen guten Zweck versteigert.

Der Defender ist ein Puzzle aus 8'953 Teilen, das in 4'190 Montageschritten zusammengefügt wird

Der Defender ist ein Puzzle aus 8’953 Teilen, das in 4’190 Montageschritten zusammengefügt wird

Aber viel Zeit für Andacht bleibt nicht und auch nicht für die Erinnerung an die endlos lange Geschichte des Gelände-Klassikers. Denn nur weil er eine besondere Nummer ist, läuft das Band auch nicht langsamer und Kollege James mahnt zur Eile – schliesslich schwebt von oben an einem kleinen Kran bereits das Kabinendach ein, das an unserer Station festgeschraubt werden muss. Und bei über 100 Arbeitstakten pro Schicht mag er sich keine Verzögerung erlauben.

Im Team bugsieren wir zu viert ganz, ganz vorsichtig die Alumütze in die richtige Position, fixieren sie mir riesigen Klemmen, greifen zu den Akkuschraubern und drehen eine Mutter nach der anderen fest. Bis wir irgendwann an die letzten zwei Schrauben hinter dem Rücklicht kommen und endlich das schelmische Grinsen James’ Gesicht entschlüsseln. „Da passt kein Akkuschrauber der Welt“, lacht er und reicht mit einer gewissen Schadenfreude einen 10er Maulschlüssel vom Werkzeugwagen: „Handarbeit, Buddy!“

4x4Schweiz-Report: Landrover Defender Motorhaube wird montiert

Die Motorhaube wird montiert

Und das ist nur einer der vielen Anachronismen, die man in der Fertigung sieht. „Es gibt kein anderes Auto, bei dem wir noch so viel von Hand machen müssen wie beim Defender,“ sagt Produktionschef Greg Nibblet. Der Defender ist ein Puzzle aus 8’953 Teilen, das in 4’190 Montageschritten zusammengefügt wird, erläutert Nibblet. „Und zwar vor allem von Hand: Während zum Beispiel in der Montage des Range Rovers 328 Roboter eingesetzt werden, sind es beim Defender nur sechs.“ Kein Wunder, dass die Durchlaufzeit bei 15,5 Stunden liegt, während der technisch um Lichtjahre komplexere Range Rover, der allerdings mit halb so vielen Montageschritten auskommt, gefühlt mit dem doppelte Tempo durchs Werk gepresst wird.

Dass Nibblet und seine Kollegen hier so gut zu tun haben, verdanken sie nur den Gebrüdern Wilk und ihrem Sommerurlaub am Strand von Anglesey. Denn dort haben die beiden 1947 mit den Testfahrten für den Defender begonnen. Die Idee dahinter war ganz einfach: Um die Exportquote zu erhöhen, Devisen einzunehmen und so bei der Rohstoffzuteilung in den Nachkriegsjahren etwas besser abzuschneiden, waren die Wilks auf der Suche nach einem Wagen, der sich in alle Welt verkaufen liess – und kamen dabei auf ein landwirtschaftliches Nutzfahrzeug: „Ein Rover für den Farmer, mit dem man überall hinkommt und alles machen kann, einen universellen Land Rover“, hatten sie im Sinn, als sie rund um das Strandhaus der Familie zum ersten Mal durch den Sand pflügten.

Land Rover Series III Bob Marley vor der Restauration

Bob Marley’s Land Rover Series III vor der Rasta-ration

Die Konstruktion hätte einfacher nicht sein können: Zwei starre Achsen, ein gerade mal 50 PS starker 1,6-Liter-Vierzylinder aus dem Rover-Regal, Allradantrieb mit entkoppelbarer Vorderachse und eine unverwüstliche Karosserie, die ohne teure Werkzeuge aus Alublechen gedengelt wurde – mehr brauchte es nicht, um die Welt im Kriechgang zu erobern. Und das kann man durchaus wörtlich nehmen. Denn weil alles, was man nicht einbaut auch nicht kaputt gehen kann, ist der Land Rover das vielleicht spartanischste Auto der Welt. Gefederte Sitze, ein festes Dach oder eine Kurbel für die Seitenfenster – all das war für die Gebrüder Wilks lästiger Luxus, den sie sich kurzerhand sparten.

Das Rezept ging auf und der Landy wurde aus dem Stand zu einem Exportschlager: Schon nach zwei Jahren wurde er in 70 Ländern verkauft und heute sind es über 160. Neben Bauern und Buschdoktoren kamen auch Militärs und Monarchen auf den Geschmack und der Land Rover wurde weltweit zum Inbegriff des Geländewagens. Allenfalls der Toyota Land-Cruiser, der Mercedes G und der Jeep Wrangler können da noch mithalten.

4x4Schweiz-Report: Landrover Defender Modellname wird angebracht

Der Modellname wird aufgebracht

Immer wieder tot gesagt, hat der Dinosaurier alle Pessimisten Lügen gestraft und sich länger gehalten, als jeder in der Firma erwartet hat. „Manchmal kann ich es selbst kaum glauben, dass wir den noch immer bauen“, sagt Niblett , der die Fertigung verantwortet. Nachdem die Briten in schlechten Zeiten auch mal nur ein paar Dutzend Defender in der Woche gebaut haben, laufen sie jetzt mit 490 Fahrzeugen fast an der Kapazitätsgrenze. „Nur in den Siebzigern haben wir mal mehr Autos gebaut“, erinnert sich Niblett und erzählt von Wochen, in denen im Mehrschicht-Betrieb über 1’200 Autos aus der Fabrik gepresst wurden. Heute laufen aus dem Werk inklusive des neuen Jaguar XE sogar rund 1’000 Autos am Tag, und immerhin 100 bis 120 davon sind noch immer Defender – und dass, obwohl hier in der alten Backsteinhalle nur in einer Schicht gearbeitet wird und nicht wie sonst überall rund um die Uhr.

Dass im Augenblick alle Welt einen Defender haben möchte, liegt womöglich auch an einer gewissen Torschlusspanik. Denn mittlerweile haben die Briten schweren Herzens das Ende der Legende bestätigt: „Die Zulassungsvorschriften“, klagt Niblett und stöhnt über Schadstoff- und Crashnormen, die der alten Konstruktion partout nicht mehr abzuringen waren. Schliesslich geht nicht nur das Grundkonzept des Defender auf den Original Land Rover von 1948 zurück. Im Grunde bauen sie heute tatsächlich noch das alte Auto, das nur notgedrungen immer mal wieder ein bisschen modernisiert wurde. Um das zu beweisen, greift Roger Crathorne, Land Rover-Mann der ersten Stunde und heute im Unruhestand das lebende Archiv der Marke, beim Weg in die wohlverdiente Mittagsause scheinbar wahllos in eine Kiste mit Komponenten und zieht das Bauteil mit der Nummer 300658 hervor. Das ist eine Querstrebe über dem hinteren Kotflügel und genau wie der Haken für die Verdeckplane seit 1948 unverändert.

Zwar arbeitet Land Rover mit Hochdruck an einem Nachfolger. Doch erstens weiss noch keiner, ob der neue Defender tatsächlich im Geist von Gestern fahren wird. Und zweitens lassen die Briten keine Zweifel daran, dass man drauf noch zwei, vielleicht sogar drei Jahre wird warten müssen. Deshalb reisst die Nachfrage nicht ab und der Bestelleingang ist im ersten Halbjahr noch einmal um 30 Prozent gestiegen.

Land Rover DEFENDER „CELEBRATION“ SERIE Family

Lange wird das allerdings nicht mehr so weiter gehen. Denn nur noch bis zu den Sommerferien kann man individuelle Autos bestellen. Danach gibt es lediglich noch drei vorkonfigurierten Sondermodelle aus der Celebration-Series, mit denen Land Rover offiziell Abschied vom Defender nimmt. Und wenn man Niblett so reden hört, dann sind davon auch nicht mehr viele übrig, so dass seine letzte Schicht für die Legende unausweichlich näher rückt.

Eine klitzekleine Verlängerung haben sie aber noch einmal herausgeschunden für den Klassiker. Denn ursprünglich sollte schon kurz vor Weihnachten endgültig Schluss sein. „Doch mittlerweile liegen so viele Bestellungen vor, dass wir wohl auch im Januar noch ein paar Autos bauen werden“, sagt Niblett. Danach ist aber tatsächlich Ende Legende – zumindest in Solihull. Denn während Niblett und seine Kollegen die letzten paar Tausend Defender zusammenschrauben, planen die Experten im Hintergrund schon den Umbau der Fabrik, in der künftig die neuen Aluminium-Modelle von Jaguar wie zum Beispiel der F-Pace gebaut werden soll. „Platz für den neuen Defender ist hier jedenfalls nicht mehr“, sagt Niblett mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn zumindest muss sich hier keiner Sorgen um seinen Job machen: „Wir haben hier so viel zu tun, dass wir sogar kräftig neueinstellen.“

So ganz allerdings muss er auf die alten Linien nicht verzichten. Schiesslich gibt es seit ein paar Monaten Mitten im Werk die so genannte Celebration Line – einen etwa tennisfeldgrossen Bereich zwischen den 33 Defender-Montage-Stationen, auf dem Archivar Crathorne und seine Kollegen die Fertigungslinie der allerersten Stunde nachgebaut haben. Und wenn man da ein paar Minuten zwischen rostigen Rollwagen und hölzernen Werkbänken herum spaziert ist, dann hält man auch die aktuelle Defender-Fertigung nicht mehr für die Steinzeit der Automobil-Produktion – selbst wenn sich Männer wie meine Kurzzeit-Kollegen Paul und James an ihren Stationen bisweilen wie Dinosaurier-Pfleger fühlen.

Zwar werden die vier, fünf Rohkarossen im Celebration Room wohl nie mehr fertig, und selbst wenn draussen fast täglich die Stechuhr klickt, wird hier auch nicht mehr ernsthaft gearbeitet. Doch dafür hat diese Abteilung Bestandschutz, sagt Markenhistoriker Crathorne: Während die offizielle Defender-Strasse im Januar endgültig abgebaut wird und Platz für moderne Roboter macht, wird an der History Line nicht gerüttelt: „Dieses Stück Geschichte bleibt uns erhalten.“ Und auch wenn im Spind neben der Tür noch der braune Kittel von Maurice Wilks hängt, muss sich hier niemand umziehen, sondern darf auf Wunsch auch ganz ans zivil ans Band.

Dieser Artikel wurde auch in unserem iPad/Android-Tablet-Magazin veröffentlicht. Lesen Sie auch folgende Artikel:

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